Aktive Sterbehilfe

Ich habe schon sehr lange vor, zu diesem Thema etwas zu schreiben. Und ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Ich bin absolut für Sterbehilfe. Die ganze Diskussion um Sterbehilfe stößt bei mir zudem auf großes Unverständnis. Da gibt es Leute die heiß darüber diskutieren, ob, wie oder wann ich ggf. einmal aus dem Leben scheiden darf. Ich finde, dies ist ein gravierender Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. Wir leben doch angeblich in einem freien Land. Warum darf ich also nicht selbst über den Zeitpunkt meines Todes entscheiden? Freilich kann ich mich jederzeit vor einen Zug werfen. Aber eine humanere Form, in Form von aktiver Sterbehilfe, also Beihilfe zur Selbsttötung, assistierter Suizid, ist in den Augen von Sterbehilfegegnern unmenschlich. Ist das nicht paradox? Ich kann ja auch frei entscheiden, ob ich mich aus einem Flugzeug stürze und wann ich dann die Reißleine ziehe. Auch dabei könnte ich sterben, auch wenn es dann ein Unfall wäre. Jeder der gefährlich lebt, weiß auch, dass er dabei draufgehen kann. Gefährlich leben ist jedoch nicht verboten und es gibt auch keine Diskussion darüber. Egal ob ich einen Sport betreibe, bei dem ich sterben kann oder ob ich mir zu Hause ein Krokodil halte, dass mich fressen könnte oder ob ich zum Beispiel zu viel Alkohol oder fettes Essen zu mir nehme — all das ist gefährlich, kann zum Tod führen, ist aber trotzdem erlaubt. Der Staat unterstellt seinen Bürgern in dieser Hinsicht, dass sie die Gefahr einschätzen können und sich des Risikos bewusst sind. Der Staat vertraut einfach auf den gesunden Menschenverstand seiner Bürger.

Der Staat mischt sich normalerweise nicht in die Privatsphäre seiner Bürger. Einschlägig vorbestrafte Gewaltverbrecher und Verbrecherinnen dürfen zum Beispiel genauso Kinder zeugen, bzw. bekommen, wie »brave« Bürger. Auch wenn sie die Kinder danach verhungern lassen oder totprügeln und es schon von Anfang an klar ist, dass diese Menschen nicht in der Lage sein werden ein Kind aufzuziehen. Auch Menschen in deren Obhut schon mal ein Kind durch grobe Fahrlässigkeit starb, können munter weiter Kinder produzieren. Den Staat interessiert das nicht und wenn, dann sowieso erst, nachdem das Kind schon in den Brunnen gefallen, sprich tot, ist. Nur wenn es um die persönliche Entscheidung geht, wann eine erwachsene Person, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, bewusst aus dem Leben scheiden will, mischt sich der Staat ein — nebst unzähligen, meist religiös motivierten Organisationen: Soll man Sterbehilfe generell verbieten? Was ist strafbar und was nicht? Wo liegt die Grenze der Legalität? Wann hat jemand Recht auf Sterbehilfe, wie krank muss er dafür sein?

Blog foto 39Was ist, wenn ich gar nicht krank bin? Nur alt und müde! Ich für meinen Teil möchte nicht unbedingt 90 Jahre alt werden — wahrscheinlich noch nicht mal 80. Und ich würde den Zeitpunkt meines Ablebens gerne selbst bestimmen, so wie ich alle Entscheidungen in meinem Leben immer prinzipiell selbst getroffen habe! Allerdings wäre es beruhigend zu wissen, dass ich mich dann nicht vor einen Zug werfen muss oder von einer Brücke springen muss und dass es bis dahin vielleicht irgendwo Hospize gibt, die alternden Menschen einfach dabei behilflich sind sanft aus dem Leben zu treten — ohne Angabe von Gründen.

Und wenn ich wüsste, dass ich unheilbar krank wäre, wäre es dann nicht nachvollziehbar, dass ich gehen wollte bevor das multiple Organversagen einsetzt oder die Demenz so viele Gehirnzellen lahm gelegt hat, dass ich selbst nicht mehr weiß, wer ich bin? (Sollte ich jemals an Demenz erkranken, möchte ich jedenfalls gehen, lange bevor ich den Weg nach Hause nicht mehr finde.) Dass solche Menschen die aus dem Leben scheiden möchten, bevor sie qualvoll verenden, als brabbelnde Greise im Pflegeheim enden oder für den Rest des Lebens auf die Hilfe anderer angewiesen sind, nicht selbst darüber entscheiden dürfen wann sie aus dem Leben scheiden, — das ist in meinem Augen würdelos und unmenschlich.

Lebensqualität empfindet eben jeder anders. Das lässt sich auch nicht in Stufen oder Grenzen einteilen. Es soll ja auch Todkranke geben die, obwohl sie täglich enorme Mengen an Schmerzmitteln schlucken, nur noch im Bett liegen können und künstlich ernährt werden müssen, dennoch dem Leben einen Sinn abgewinnen — jedem das seine. Für mich wäre das jedenfalls nichts. Ich würde gerne gehen lange, sehr lange, bevor diese Situation eintreten würde. Und jemand der nicht mehr weiterleben will, wird eh einen Weg finden — egal wie grausam sein Ableben dann auch vonstattengehen mag. Aber wäre es da nicht viel besser diesen Menschen eine humanere Möglichkeit zu bieten?

Was mich sorgt ist auch nicht der Aspekt, dass ich irgendwann krank werden könnte. Was mich sorgt, dass ich selbst nicht mehr die Kontrolle hätte —dass ich später einmal auf Gedeih und Verderb irgendwelchem Pflegepersonal in einem Pflegeheim ausgeliefert sein könnte und es dann zu spät wäre überhaupt noch bis zur nächsten Brücke zu laufen — vielleicht, weil ich gar nicht mehr laufen könnte! Für jemanden der Zeit seines Lebens Angst vor dem Tod hatte, mag dies der bessere Weg sein: Lieber komplett durchgeknallt den ganzen Tag mit vollgeschissenen Windeln im Rollstuhl sitzen oder ans Bett gefesselt, Hunger und Durst leiden, als tot. Aber selbst wenn ich nicht (tot)krank wäre; ich will nicht ewig leben. Natürlich gibt es künstliche Hüften und Kniegelenke, Brillen, Hörgeräte, Prothesen aller Art und Herzschrittmacher — ja selbst Handys für gichtkranke Tattergreise gibt es! Für mich wäre dies jedoch niemals eine Option.

Aber wer kann heute schon voraussagen, welche Fortschritte die Sterbehilfe, wenn auch vielleicht nur gezwungenermaßen, in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten machen wird? Immerhin ist die Erde überbevölkert und obendrein werden wir immer älter. Wer soll künftig z.B. die Pflege alter Menschen zahlen, deren Herz ggf. noch 20 oder 30 Jahre lang schlägt, obwohl der Verstand sich schon längst verabschiedet hat? Pflegepersonal gibt es  jetzt schon zu wenig, jedenfalls gutes, und so wird man wohl auf lange Sicht (hoffentlich) auch gar nicht mehr drum herum kommen die Sterbehilfe neu zu bewerten, um zumindest den Personen die nicht bis zum bitteren Ende ausharren wollen eine Alternative zu bieten.

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