Mit Respekt und Toleranz

Vor ein paar Tagen lief abends eine Comedy Show mit Dieter Nuhr: Nuhr mit Respekt. Seitdem denke ich immer noch über das was Dieter Nuhr da so schön humorvoll, ironisch und manchmal auch subtil in gute Unterhaltung verpackte nach. Mehr Respekt und mehr Toleranz. Hm. Aber wo soll man die Grenze ziehen? Wo hören Respekt und Toleranz auf und wo beginnt zum Beispiel Zivilcourage? Irgendwo dazwischen liegt für mich, gefühlt, eine weite Ebene die sich Gleichgültigkeit nennt.

Ich zum Beispiel respektiere prinzipiell fremdes Eigentum und die Privatsphäre von anderen. So bin ich allerdings auch erzogen worden. Wenn mich meine Oma früher mal mit in die Stadt nahm und ich dort in einem Geschäft etwas anfasste, fragte meine Oma: »Gehört dir das?« Notgedrungen schüttelte den Kopf und dann schlug mir meine Oma auf die Finger. Noch heute neige ich dazu, erst einen Verkäufer um Erlaubnis zu fragen, bevor ich gewisse (teure) Produkte anfasse. Entsprechend stört es mich auch, wenn ich heute Kinder sehe, die alles antatschen. Hier mangelt es mir definitiv an Toleranz ― und das ist auch gut so. Ich finde nämlich, dass sich so etwas nicht gehört und ich verstehe auch die Eltern nicht, die ihren Kindern alles durchgehen lassen. Neulich waren wir essen. Am Tisch gegenüber uns saß eine Familie mit zwei Kindern. Die Kinder waren furchtbar laut und quengelten an einem Stück. Schließlich erlaubte die Mutter ihnen aufzustehen, woraufhin die beiden anfingen, durch das Restaurant zu rennen. Sie spielten Fangen und jedes Mal, wenn der größere Junge das Mädchen gefangen hatte, stieß diese einen markerschütternden Schrei aus. Bin ich wirklich nur noch eine Person von wenigen, die sich an so etwas stören? Liegt es daran, dass ich als Kind, die wenigen Male die ich damals tatsächlich ein Restaurant von innen erblickte, immer mucksmäuschenstill am Tisch zu sitzen hatte? Wäre ich weniger empfindlich, wenn auch meine Großeltern oder Eltern schon „toleranter“ gewesen wären? Macht Gleichgültigkeit automatisch auch immun gegen störende Elemente?

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Die Rennerei führte jedenfalls dazu, dass Øsel, der bislang ruhig unter unserem Tisch gelegen hatte, zu bellen anfing. Muss ich tolerieren, dass ich um einen angenehmen Abend gebracht werde, nur weil irgendwelche Leute ihre Kinder nicht im Griff haben? Bin ich aus Respekt den anderen Restaurantbesuchen ggü. verpflichtet meinen Hund ins Auto zu bringen, wenn er bellt, weil andere ihn dazu verleiten? Niemand regte sich über das Benehmen der Kinder auf, noch darüber, dass der Hund bellte ― auch die Bedienung sagte nichts. Auch nicht, als sie fast ihr Tablett fallen ließ, als das Mädchen gegen sie rannte! Ich habe fast immer Hundeleckerli in der Tasche, womit ich Øsel ablenken konnte, sodass er nicht mehr bellte. Trotzdem war es mit der Gemütlichkeit vorbei. Früher hätte ich die Eltern höflich aber bestimmt darum gebeten, ihre Kinder zur Ordnung zu rufen, aber ich weiß wozu so etwas führt, denn die Eltern solcher Kinder haben in der Regel genauso wenig Respekt und Manieren, wie ihre Kinder. Wahrscheinlich hätte ich damit nur einen handfesten Streit heraufbeschworen.

Trotzdem finde ich es nicht richtig, dass solch ein Benehmen immer mehr toleriert wird. Und natürlich ist die Begebenheit in dem Restaurant nur ein Beispiel von vielen! Würde man aber eher dagegen aufbegehren, wenn jemand die Grenzen des tolerierbaren überschreitet, würde vieles von dem wohl gar nicht erst geschehen! Aber einer muss dazu immer den Anfang machen und der trägt immer auch die Verantwortung. Hätte ich in dem Restaurant etwas gesagt, wäre das Risiko damit einen handfesten Streit heraufzubeschwören jedenfalls wesentlich größer gewesen, als die Chance, dass die Eltern einsichtig reagiert hätten oder dass andere Gäste mir Schützenhilfe gegeben hätten. Und zudem; genaugenommen wäre es wohl auch die Aufgabe des Restaurantbesitzers gewesen, etwas zu unternehmen. Andererseits ist das natürlich auch eine gute Ausrede für mich. Fakt ist jedenfalls, dass wir immer mehr Dinge einfach so hinnehmen oder ein Vermeidungsverhalten aufbauen, um möglichst gar nicht erst in solche Situationen zu geraten, wo wir etwas tolerieren müssen, dass wir gar nicht wollen. Dies wiederum führt dazu, dass diejenigen die respektlos sind ihr asoziales Verhaltensmuster immer weiter ausdehnen.

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Noch etwas finde ich wichtig. In diesem Beispiel war ich die Geschädigte. Wie ist es, wenn ich nur Zuschauer bin und jemand anderes ist der Geschädigte? Da fällt das hinnehmen und weggucken natürlich noch viel leichter! Die Prärie der Gleichgültigkeit ist weit. Arsch lecken! Warum soll ausgerechnet ich etwas unternehmen?

Vor ein paar Tagen musste ich in einem Geschäft etwas abholen. Ich stand in der Reihe und sah, wie die Frau die gerade an der Theke bedient wurde, ihren Schäferhund voll mit dem Knie in die Seite trat — nur weil dieser ein wenig unruhig gewesen war. Der Hund winselte und krümmte sich daraufhin vor Schmerzen. Ich habe zu der Frau hinübergerufen, ob es nicht auch ein wenig normaler könnte, es wäre wohl nicht nötig den Hund gleich zu treten! Alle anderen die in der Reihe standen hatten es zwar auch gesehen, aber keiner hatte reagiert. Die Frau nahm ihre Tüte und ohne etwas zu erwidern, zerrte sie ihren Hund hinter sich aus dem Laden. Warum um alles in der Welt schaffen sich manche Leute ein Haustier (oder Kinder) an? Und hat es was gebracht, dass ich die Frau angeschnauzt habe? Lässt sie ihre Wut darüber nicht zu Hause bloß wieder an ihrem Hund aus? War es hilfreich das ich den Mund aufgemacht habe? Ich glaube eher nicht!

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Eine ähnliche Situation hatten wir einmal in einem unserer Geschäfte. Dies ist zwar schon viele Jahre her, aber damals schlug eine Mutter ihrem weinenden Kind mit der flachen Hand voll ins Gesicht. Dann ballte sie die Faust und drohte dem Jungen, dass sie erneut zuschlagen würde, wenn er nicht augenblicklich „die Fresse“ hielte. Ich bin dazwischen gegangen und habe der Frau gesagt, dass in meinem Laden keine Kinder geschlagen werden und wenn sie den Jungen nochmals schlüge könnte sie sich auf ein Echo gefasst machen — bevor ich die Polizei rufen würde! Als ich dem Kleinen dann ein Taschentuch geben wollte, kreischte die Frau ich solle bloß ihren Sohn nicht anfassen und zerrte ihn hinter sich aus dem Geschäft. Zugegeben, damals fehlte mir noch das psychologische Feingefühl, aber wer hat das schon?! Heute wäre ich vielleicht behutsamer vorgegangen, hätte mein Augenmerk zuerst nur auf die ach so gestresste und bemitleidenswerte Mutter gelenkt, hätte Mitgefühl mit ihr geheuchelt und meine Verachtung unterdrückt. Ich hätte ihr vielleicht einen Stuhl und einen Kaffee angeboten, um so hintenherum doch die Gelegenheit zu bekommen auch ihren armen Sohn zu beruhigen und ihm etwas Gutes zu tun. Denn ehrlich gesagt, habe ich für solche Mütter kein Verständnis — welche triftigen Beweggründe Erwachsene auch immer haben mögen um sich zu rechtfertigen, wenn sie Kinder schlagen, stößt bei mir auf Verständnislosigkeit. Dies gilt im Übrigen auch für Tierquäler. (Ich unterscheide allerdings zwischen Schlagen und jemandem einen Klaps geben.)

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Wo hört Toleranz auf? Da wo Gleichgültigkeit anfängt! Da wo Toleranz aufhört gibt es nur zwei Wege für die man sich entscheiden kann: Weg eins ist gut ausgebaut und einfach zu beschreiten, er nennt sich Gleichgültigkeit. Weg zwei ist steinig und trägt den Namen Zivilcourage. Zivilcourage ist jedoch gefährlich. Immer wieder hört man von Menschen, denen ihre Zivilcourage zum Verhängnis wurde. Was soll ich als Einzelperson auch schon tun, wenn ich sehe, wie mehrere Männer ein Mädchen bedrängen? Natürlich rufe ich sofort die Polizei an! Aber bis die da sind, kann wer weiß was geschehen sein! Was mache ich nachdem ich die Polizei verständigt habe und ich sehe, wie die Männer das Mädchen schlagen? Muss ich mir selbst den Kopf einschlagen lassen, um jemand anderen zu retten? Nein, natürlich nicht! Ich kann versuchen andere Passanten auf den Vorfall aufmerksam zu machen, um gemeinsam vorzugehen — aber funktioniert das? Lenke ich dadurch nicht nur wieder die Aufmerksamkeit auf mich und bin ich dann nicht wieder letztendlich der Dumme? Und was ist, wenn außer mir keine anderen Personen in der Nähe sind? Wie kann ich es mit meinem Gewissen später vereinbaren, wenn ich „bloß“ die Polizei gerufen habe und danach mitansehen muss, wie jemand zu Tode geprügelt wird? Wie hat es überhaupt dazu kommen können, dass Nötigung und Todschlag überhaupt alltäglich geworden sind!? Vielleicht sind wir ja auch einfach bloß zu tolerant!

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Noch einmal zurück zu unserem Restaurantbesucht. Eltern die ihren Kindern alles durchgehen lassen, egal ob dies aus Gleichgültigkeit heraus geschieht oder aus Affenliebe, tun nichts anderes als in den meisten Fällen Soziopathen großzuziehen. Irgendwann stoßen nämlich auch diese Kinder an Grenzen! In der Regel dann, wenn sie eingeschult werden und sich plötzlich an Regeln halten müssen. Schreien und rumtoben hilft dann nicht mehr um doch noch seinen Willen durchzusetzen. Diese Kinder werden dann ausgegrenzt oder der Einfachheit halber mit ADHS diagnostiziert. Einige von ihnen kriegen dann doch noch aus eigener Kraft die Kurve, viele andere nicht. Diese anderen lernen sich zu nehmen was sie wollen, wenn nötig mit Gewalt und damit wären wir wieder bei meiner Frage von vorhin: Wie hat es überhaupt dazu kommen können, dass Nötigung und Totschlag überhaupt alltäglich geworden sind!? Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, dass ich das nächste Mal, wenn ich mich im Restaurant oder wo anders durch die Rücksichtslosigkeit von anderen in meiner Privatsphäre gestört oder belästigt fühle, wieder meinen Mund aufmache und mich höflich aber bestimmt beschwere. Das ganze fängt im Kleinen an und hat nichts mit Toleranz sondern mit Gleichgültigkeit zu tun. Jedenfalls ist das meine Meinung.

Titelfoto & Post (Blog) Fotos/Images: Copyright by Kristine Weitzels

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